...

Gleich hinter der Tür zum Garten war ein brauner Fleck auf dem Rasen. Ein ungefähr tellergroßer Fleck, auf dem nichts mehr wachsen wollte; das Gras schlaff und faulig, wie abgestorben. Der Hund war ein paar Schritte weit in den überwucherten Garten hinausgelaufen und kläffte auffordernd.

»Ja. Guter Hund. Na los, komm her.«

Der Hund tänzelte aufgeregt umher, kam aber keinen Schritt näher. Der Mann rief noch einmal halbherzig, dann trat er von der Tür zurück und setzte sich in einen Stuhl, weil die Knie plötzlich unter ihm nachgaben. Nicht einmal zu einem richtigen Ärger war er mehr imstande. Dieser Garten, der jetzt im Juni brannte wie eine Fackel; der aufgeregte Hund: Alles brachte ihn auf. Der Hund hatte Schlappohren und einen kurzen, gerollten Schwanz. Unter dem rauen Fell vibrierten die Sehnen in seinen Gliedmaßen wie Klaviersaiten. Der Ärger über den Hund war wie ein kleiner, fest geballter Knoten in der Brust des Mannes.



Der Hund stand, von ihm abgewandt, mit zitternden Beinen auf der Wiese und bellte wie rasend etwas Unsichtbares im Garten an. Der Garten war so zugewuchert, dass alles Mögliche darin versteckt sein konnte. Das Summen unzähliger Bienen und Hummeln fügte sich zusammen zu einem leise dröhnenden Basston, der so lästig war wie Ohrensausen.

Der Mann ging in die Küche, um sich Kaffee zu kochen. Das ist nicht mein Haus, dachte er und rührte in dem verstopften Filter. Nicht mein Hund, nicht mein Garten. Ich bin hier nur zu Besuch.

Das Haus war alt. Erst hatten seine Eltern hier gewohnt, dann sein Bruder. Seit der Mann von seiner Krankheit wusste, war er überzeugt gewesen, er werde als erster sterben. Nun war er als letzter übrig. Das kam ihm wie ein schlechter Streich vor; als ob das Leben ihm eine lange Nase drehte. Er hatte das Haus nehmen müssen und mit dem Haus den Hund.

Der Mann holte seine Kaffeetasse, setzte sich auf das schäbige Sofa und schaute durch die offen stehende Hintertür auf den Garten hinaus. Der Hund war plötzlich verstummt, ging in die Hocke und kackte ins Gras, den Blick gemütsruhig in den Himmel gerichtet, als sei nichts.

Der Mann verbrannte sich die Zunge am heißen Kaffee und ruhte sich einen Augenblick auf dem kleinen Schmerz aus, der dem Stechen in seiner Brust die Schärfe nahm.


*


»Das ist ein feiner, freundlicher Hund«, sagte die Tierärztin. »Er wird Ihnen keinen Ärger machen.«

Wie alt er wohl sein mag, überlegte der Mann. Fünf Jahre? Oder mehr? Er wusste es nicht genau. Es war ihm peinlich, die Tierärztin zu fragen. »Ein Hundejahr sind sieben Menschenjahre«, sagte er stattdessen. »Wie konnte er meinen Bruder überleben?«

Die Tierärztin warf ihm einen kurzen Blick zu, mit gefurchten Brauen, als zweifle sie an seinem Verstand. »Wie kann man wissen, wer zuerst gehen muss?«

Sie war um die dreißig und hatte eine sehnige und gleichsam gespannte Figur, ganz ähnlich wie der Hund. Vielleicht lag auch unter ihrer Haut, wenn man sie berührte, eine geheime Vibration von sprungbereiter Energie. Sie legte dem Hund die Hände an die Flanken und tastete routiniert seinen Leib ab. »Wir lassen ihn eine Wurmkur machen«, schlug sie vor. »Die Rechnung eins zu sieben wird bei ihm übrigens nicht aufgehen. Er hat einen Herzfehler und wird nicht alt werden. Das wissen Sie ja sicher.«


Er hatte es nicht gewusst. Und von da an beobachtete er den Hund mit Aufmerksamkeit. Die ersten kurzen grauen Haare um die Schnauze. (Werden Hunde grau? Oder war das Grau schon immer im Fell gewesen?) Der unsichere Gang, wenn sich der Hund über das glatte Parkett bewegte. Das Mienenspiel, wenn er seinen vollen Futternapf betrachtete. Die starken weißen Zähne. (Die spitzen an der Seite waren etwas gelblich.) Der gesträubte Schwanz, wenn der Hund vor dem braunen Fleck auf dem Rasen stand und bellte. Da musste jemand Salz ausgestreut haben, dachte er plötzlich. Vielleicht über eine Nacktschnecke? In feuchten, warmen Jahren gab es manchmal eine Schneckeninvasion. Wer sich zu sehr ekelte, die hässlichen fetten Würmer auf die Schaufel zu nehmen und über den Zaun zu werfen, der streute Salz darüber aus. Die Schnecke schrumpfte und schleimte und starb. Wie lange mochte das dauern? Sekunden, Minuten oder länger? Das Gemisch aus Salz und Schleim hinterließ einen braunen Fleck im Rasen. Ja. Tot.

Er verabreichte dem Hund die verschriebenen Medikamente, indem er ihm die Kapseln tief in die Schnauze schob und sie dann mit einer Hand zusammendrückte, bis der Hund geschluckt hatte. Der Hund gehorchte mit ernster Miene, als sei er sich bewusst, wie wichtig das war. Ich kann es vielleicht noch zwei Jahre machen, dachte der Mann. Es ist nicht wahrscheinlich, aber möglich. Der Hund wird nicht alt werden. Er hat einen Herzfehler.



Ich kann es schaffen, dachte er, nahm die Hundeleine vom Garderobenhaken und verordnete sich selbst und dem Hund einen Marsch rund um den Block. Der Hund lief kreuz und quer über Bürgersteig und Straße, schnupperte überall herum, hob das Bein und pisste gegen die Laternenpfosten. Vorher war sein Bruder hier gegangen. Mit dem Hund. Hatte die Leine in die Tasche gesteckt. Und geduldig gewartet, während der Hund sein Revier markierte. Eines Tages, dachte er, wird einer von uns umfallen und hilflos auf dem Bürgersteig liegen. Entweder ich oder der Hund. Wenn ich es bin, wird er mich beißen. (Er stellte sich die Zähne vor. Die gelblichen spitzen an der Seite. Wie sie sich in ihn bohrten. Da hinein, wo der Schmerz saß. Wo der kleine, fest geballte Knoten hockte.) Etwas riss in seinem Inneren. Er verharrte einen Augenblick, die Hand auf den Bauch gepresst. Der Hund wandte den Kopf und blickte ihn an. Nein. Noch nicht.

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