Das Zappelkaninchen

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Das Zappelkaninchen baumelt an einer silbernen Kette. Es ist nur etwa zwei Zentimeter hoch. Sein Kopf mit den langen Ohren ist fest mit der Aufhängeöse verlötet und kann sich nicht rühren, ohne die Kette zu verheddern. Aber der rundbäuchige Körper dreht sich frei um den lose eingehängten Hals, und ebenso sind auch die vier Beinchen beweglich an den Körper gefügt.

Obwohl es also nach Lust und Laune zappeln kann, ist das Zappelkaninchen sich selbst ein Ärgernis. Die Hinterbeinchen zum Beispiel sind viel zu kurz. Eigentlich sehen sie eher wie menschliche Beine aus mit kleinen Füßen. Das Zappelkaninchen weiß nicht viel von sich selbst, ist aber instinktiv sicher, dass es lange, muskulöse Hinterbeine haben sollte zum Springen und Rennen.

Sein Leben als Wildkaninchen hat es beinahe ganz vergessen. Doch es weiß noch, wie es Stallkaninchen war. Damals hatte es nicht viel Platz und kaum Unterhaltung außer Fressen. Aber es konnte mit den Hinterbeinen trommeln und mit den Vorderpfoten kratzen, wenn jemand kam und den Futternapf zum Auffüllen aus dem Stall hob oder mit der Kehrschaufel das schmutzige Stroh herausscharrte.

Deutlicher noch ist die Erinnerung an das Leben als Zwergkaninchen. Es hatte wieder viel Platz zum Herumhoppeln, bekam Leckerbissen und wurde oft gestreichelt. Trotzdem scharrte und kratzte es wie gewohnt im Stroh. Wenn es Lust dazu hatte, sprang das Kaninchen aus dem Stand einen halben Meter hoch, so stark waren seine Hinterbeine.

Seit es an der Silberkette baumelt, trommelt und springt es nicht mehr. Die Vorderbeine unnatürlich gewinkelt, die Hinterbeine viel zu kurz, hängt es über einem knochigen Brustbein und verdreht sich vor Unmut. Die Besitzerin des Zappelkaninchens betastet es immer wieder, ob es auch ordentlich hängt, die Füßchen und die gewinkelten Vorderbeine nach vorn, wie es sich gehört. Manchmal dreht sich das Zappelkaninchen ganz herum und wendet den Unterkörper der Frau zu, obwohl das Gesicht weiter nach außen zeigt. Das ärgert die Frau. Immer wieder fingert sie an dem Zappelkaninchen herum.

Eines Tages landet das Zappelkaninchen mitsamt der Kette in einer Pappschachtel. Die Frau trägt jetzt etwas anderes.

Lange schläft es zwischen Watteschichten. Ruhen und Dösen ist es gewohnt aus seiner Zeit als Stallkaninchen. Doch plötzlich wird es aus dem Wattekokon befreit. Die Kette wird gespreizt, um einen Hals gelegt, im Nacken geschlossen. Es ist ein viel dickerer Hals als früher. Das Zappelkaninchen hängt knapp unter einem haarigen Schlüsselbein.

Viel sieht es nicht von der Welt. Der neue Besitzer hat die Kette so gedreht, dass das Zappelkaninchen mit dem Gesicht zu ihm hängt. Vielleicht ist er kurzsichtig und weiß es nicht besser, und es gibt niemanden in seiner Umgebung, der ihn auf den Fehler hinweist. Das silberne Zappelkaninchen baumelt verkehrt herum an der Kette und drückt die Mümmelnase in das Brustfell seines Besitzers. Das Fell ist warm und weich, das Herz donnert gegen die Rippen. Das Kaninchen hört das Pumpen des Atems und den gleichmäßigen Wellengang des Blutes, das in das Herz strömt und wieder heraus.

Jetzt dreht es nicht mehr den Unterleib und die gewinkelten Vorderbeinchen; es bleibt seinem Menschen zugewendet hängen, alle vier Beine in dem dichten Brustfell, die Ohren an die warme Haut gelegt. Zum ersten Mal seit langer Zeit beginnt es zu trommeln und zu kratzen. Lustvoll klopft es gegen die warme Haut und wühlt sich in das fremde Fell, scharrt und gräbt. Es kratzt sich einen dunklen Gang hinab in die Tiefe des dröhnenden Brustkorbs.

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