Schafskrimi (Leseprobe)

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MÄH! (Leseprobe)


Sehr geehrte Frau Mehler, sehr geehrter Herr Landmann,
mit Befremden habe ich festgestellt, dass Sie auf ihrem Wohngrundstück seit einigen Wochen drei Lämmer halten. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass das ganze Neubaugebiet Hammelberg als reines Wohngebiet ausgewiesen ist. Eine landwirtschaftliche Nutzung der Grundstücke, einschließlich unbebauter Wiesenflächen, ist somit nicht gestattet. Es dürfen keinerlei Nutztiere wie Kühe, Schweine oder Schafe gehalten werden. Ihre drei Lämmer laufen bei Tag und Nacht auf der Wiese umher und belästigen mit ihrem Blöken die Nachbarschaft. Da unser Schlafzimmer nach Ihrer Wiese hinaus liegt, sind wir besonders betroffen. Meine Frau ist seit Jahren Migränepatientin und leidet sehr unter dem Schreien Ihrer Lämmer, ebenso meine pflegebedürftige Schwiegermutter, die bei uns wohnt. Das ständige schallende „Mäh“ ruiniert unsere Kopfnerven. Ich fordere Sie dringend auf, für die Lämmer baldmöglichst eine richtige Weide zu suchen, andernfalls sehe ich mich gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen.
Hochachtungsvoll, Franz Wolf


Sehr geehrter Herr Wolf,
zunächst eine Richtigstellung: Die drei Schafe auf unserem Hausgrundstück sind keine Lämmer, sondern ausgewachsene Schafe, nämlich Ouessantschafe, die nach der bretonischen Insel Ouessant benannt sind. Sie erreichen nur etwa Kniehöhe und benötigen nicht viel Weidefläche. Eben deshalb haben wir uns für diese Tiere entschieden. Ouessantschafe bringen keinen wirtschaftlichen Nutzen; wir halten sie nur zum Vergnügen, woraus folgt, dass sie keine Nutztiere, sondern Haustiere sind und folglich in unserem Wohngebiet erlaubt.
Es tut uns Leid, dass die Schafe so viel blöken, aber das wird sich sicher geben, sobald sie richtig eingewöhnt sind.
Was die Geräuschbelästigung und die daraus folgende Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes Ihrer Frau Gemahlin und deren Frau Mutter anbetrifft, so schlagen wir vor, dass Sie zunächst den exzessiven Gebrauch Ihres Hochdruckreinigers, Ihres Mulchmähers und Ihres Laubbläsers auf ein vernünftiges Maß beschränken. Das dürfte genügen, dass sich die Kopfnerven Ihrer Familie erholen können.
Mit freundlichen Grüßen, Karin Mehler, Horst Landmann


Geehrte Frau Mehler, geehrter Herr Landmann,
mir ist es völlig wurscht, ob Ihre Schafe nach einer bretonischen oder einer Fidschi-Insel benannt sind. Wir können die Nachbarschaft dieser Tiere nicht mehr ertragen. Wenn Ihre Schafe, wie Sie schreiben, Haustiere sind, dann holen Sie sie gefälligst ins Haus, wenigstens nachts. Ihre Anspielung auf meine Gartengeräte geht am Kern der Sache vorbei. Wenn ich lieber mähe meine Wiese mit einem vernünftigen Rasenmäher pflege, als Schafe darauf weiden zu lassen, ist das meine Angelegenheit und erspart immerhin auch Ihnen zusätzliche Geruchsbelästigung und weiteres permanentes „Mäh“.
Franz Wolf


- Ordnungsamt -
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich erstatte hiermit Anzeige gegen meine Nachbarn Karin Mäh Mehler und Horst Landmann wegen verbotener Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere im Wohngebiet Hammelberg. Die Vorerwähnten lassen auf ihrem Hausgrundstück, das neben dem meinigen liegt, seit dem Frühjahr drei Schafe weiden. Die Tiere blöken bei Tag und Nacht so schrill, dass meine Familie nervlich am Ende ist und besonders meine Frau nur noch mit Hilfe von Tabletten Schlaf finden kann (Attest des Hausarztes liegt an). Auf meine Bitten, die Schafe zu entfernen oder wenigstens nachts einzusperren, haben meine Nachbarn nicht reagiert. Überdies verwöhnen sie ihre Schafe mit Streicheln und Leckerbissen derart, dass diese ständig schreien, wenn Frau Mähler und Herr Landmann nicht in der Nähe sind. Wir bitten dringend, dafür zu sorgen, dass in unserem Wohngebiet wieder Ruhe einkehrt.
Mit freundlichen Grüßen, Franz Wolf

(.....)



"Mäh!" wurde im Krimiwettbewerb des Odenwaldkreises mit dem 1. Preis ausgezeichnet und in die Anthologie "MordsSchafe" (Sieben Verlag, ISBN 978-3-940235-27-6) mit 30 ausgewählten Schafskrimis aufgenommen.
Näheres zum Wettbewerb siehe
hier.



Foto: Brigitte Osenbrück

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