Hummeln und Spinnen

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Das Kätzchen war in einem Obstgarten zu Hause. Dort gab es Birnbäume, einen Pflaumenbaum und einen Holzschuppen. Damals war das Kätzchen eines von siebzehn. Alle siebzehn waren braun, schwarz und grau, manche gefleckt und manche getupft. Eines hatte einen weißen Bauch und eines hatte Tigerstreifen.

Irgendwann kam ein Mensch mit einem Auto, fing alle siebzehn Kätzchen ein und brachte sie weg. Auch das mit den Tigerstreifen. Das ist seitdem eines von einem und wohnt in einer Wohnung ohne Obstbäume und Holzschuppen.

Tagsüber ist das Kätzchen allein und schnellt wie eine Sprungfeder über die Möbel, von Stühlen auf Fensterbänke und von da aus unter den Tisch, immer auf der Suche nach unsichtbaren Hummeln und Spinnen.

Morgens kommt eine Frau mit nassen Haaren. Im Bademantel schlurft sie in die Küche und verbreitet seifig-stockigen Mief. Sie sucht gähnend nach dem Dosenöffner, schraubt eine Büchse Futter auf und kratzt es in den Katzennapf. Danach lehnt sie an der Anrichte, während hinter ihr eine Maschine schwarze Brühe in eine Kanne hustet. Die Frau gähnt weiter vor sich hin, bis ihre Augen tränen, trinkt die bitter riechende Brühe und sieht dem Kätzchen beim Fressen zu. Nach einer Weile geht sie wieder hinaus. Wenn das Kätzchen den Napf ausgeleckt hat, kommt die Frau zurück, mit grauem oder blauem steifem Stoff gepanzert, die Haare getrocknet und sorgfältig festgeklebt. Sie schiebt eine Wolke aus süßlichem Blümchengestank vor sich her. Manchmal sagt sie ein paar Worte, und es klingt genauso kratzig wie der Stoff, den sie trägt. Sie greift eine Tasche und gähnt sich zur Tür hinaus.

Das Kätzchen macht sich auf die Jagd nach unsichtbaren Brummelhummeln und Zitterspinnen.

Nachmittags wird die Luft in der Wohnung grau. Der Tisch und die darunter geschobenen Stühle bekommen immer mehr Beine. Es rieselt gegen die Fenster, und das Klingeln und Rattern von draußen klingt weich wie Watte. Im Flur klickt es, und die Frau kommt zurück und bringt salzig-schwitzigen Duft mit. Sie schmeißt ihre ausgebeulte Tasche neben die Küchentür, wo sie wie ein schlaffes fettes Tier liegen bleibt. Die Frau geht ins Schlafzimmer, um den Kratzstoff abzupellen, und kommt in fluffig grauen Stoff gehüllt zurück. In der Küche öffnet sie Schränke, räumt Pakete und Flaschen aus Tüten und stopft den kalten hellen Schrank voll. Wenn die Tür offen steht, summt der Schrank aufgeregt, bis die Frau sie wieder zuwirft.

Für das Kätzchen kocht sie Hühnerleber in einem Topf auf dem Herd; für sich selbst macht sie etwas Gelbes, Gummiweiches zurecht. Das Kätzchen lässt sich vor seinem Napf nieder und ordnet sorgsam den Schwanz um sich, ehe es zu fressen beginnt. Die Frau frisst im Stehen, an die Küchenanrichte gelehnt. Nach einer Weile leckt sie die Gabel ab, öffnet einen Eimer mit Klappmaul, der in der Küchenecke steht, und kratzt die Hälfte ihrer Mahlzeit hinein, zu den Gummiresten vom vorigen und vom vorvorigen Tag und den leeren Katzenfutterdosen.

Nach dem Essen kriecht das Kätzchen unter das Sofa und schnurrt, während die Frau in den Kasten schaut, der ununterbrochen plappert und dudelt und dabei blauen Mondschein ausbreitet. Eine Flasche spuckt mit scharfem Plop den Korken aus, und die Frau gießt etwas Rotes und modrig Riechendes in ein Glas. Das Glas ist so fein, dass es bei jeder Berührung singt.

Später klirrt es manchmal und Scherben fallen vor das Sofa. Das Glas hat zu singen aufgehört. Der viereckige blaue Mond erlischt und wird stumm. Von seinem Platz unter dem Sofa aus sieht das Kätzchen, wie eine Hand nach unten kommt und versucht, die Scherben zusammenzulesen. Die Hand tastet herum und sprenkelt rote Tropfen über den Fußboden.

Das Kätzchen leckt sie auf. Sie schmecken rostig und rufen ferne Bilder wach von duftendem Wind, von Obstbäumen, einem Holzschuppen und sechzehn anderen Kätzchen.

Das Sofa quietscht und hebt sich. Die Füße der Frau schlurren davon und ziehen eine rote Tropfenspur hinter sich her.

Dann ist die Frau wieder weg und die stille Wohnung ist in Nachtfarbe getaucht. Das Kätzchen springt auf das Sofa, um sich dort einzurollen, wo die Frau gesessen hat. Es dehnt sich und bohrt die Krallen in die weichen Polster; es kostet das Rote auf der Zunge nach und leckt sich den Bauch. Einst war es eines von siebzehn, in einem Obstgarten mit Bäumen und einem Holzschuppen. Es geht auf die Jagd und springt wie eine Stahlfeder umher, immer hin und her über die liegen gebliebenen Singscherben hinweg, auf Möbel und Fensterbänke. Die ganze Nacht jagt es unsichtbare Brummelhummeln und Zitterspinnen.

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